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Linguistik und Ethnologie - Missionare als Wissenschaftler

Um den christlichen Glauben den Menschen nahe zu bringen, mussten sich die Missionare auch als Wissenschaftler betätigen. Existentiell wichtig war die Erforschung der indigenen Sprachen. Wollten die Missionare in ihrem Missionsauftrag Aussicht auf Erfolg haben und letztlich physisch und psychisch überleben, musste eine Anpassung der Sprachgemeinschaft stattfinden. Dass sich dabei die Missionare an die Idiome der einheimischen Bevölkerung anpassen müssen, stand für sie außer Frage. Um sich ein objektives Bild von den Menschen, ihrer Lebensführung und ihren Werten machen zu können, war die Kenntnis ihrer Sprache unerlässlich.

Wie begegneten nun die Neuendettelsauer Missionare der Sprachenvielfalt (hier gibt es ausführlichere Hintergründe) auf ihrem Missionsfeld im neuguineischen Huongolf (- hier klicken für die Sprachkarte (öffnet in einem neuen Tab), insbesondere in Bezug auf ihr Ziel, der Christianisierung der Bevölkerung? Flierl und seine Kollegen Tremel und Pfalzer nutzten die Aufbauarbeiten der Station Simbang, um sich die Grundlagen der Jabem-Sprache zu erschließen. Dolmetscher, Sprachlehrer oder Bücher gab es nicht. Sie waren also Autodidakten und mussten im Kontakt zu den Einheimischen die Sprache quasi vom Mund ablesen. Durch Vergleich des Gesammelten tasteten sie sich an die Sprache heran, erstellten Wörterlisten und erschlossen sich so die Grammatik. Mit Heft und Bleistift bewaffnet schrieben sie alles auf, was ihnen zu Ohren kam, wobei das Erfassen von konkreten Dingen einfacher war, als die Erforschung abstrakter Begriffe oder die verschiedenen grammatikalischen Abwandlungen der Wörter ja nach Person, Kasus, Tempus, Numerus oder Genus (vgl. ebd., S. 82).
Die Unzulänglichkeit ihrer Sprachkenntnisse war für die Missionare immer wieder Thema und Hindernis für die Missionsarbeit. Für das Jabem brauchte es bspw. über 20 Jahre Forschungsarbeit, ehe man feststellte, dass die Sprache vier verschiedene Vokalreihen mit unterschiedlicher Betonung und Höhenlage hat, so dass bis dahin gleichlautende Wörter mit ihren unterschiedlichen Bedeutungen erfasst werden konnten (vgl. Pilhofer 1963, S. 67). Mit dem Erlernen der Tami- oder der Kate-Sprache ging es etwas schneller voran, da sich die Missionare nun auf ihre Jabem-Wortlisten und auf zweisprachige Dolmetscher stützen konnten (vgl. Flierl 1910b, S.87).
Am Schwierigsten war für die Missionare in allen Sprachen die (Er)findung geistiger bzw. christlicher Begriffe. Bei der Auswahl passender Ausdrucksweisen für zentrale christliche Begriffe bestand die Schwierigkeit darin, dass die Vorstellungswelt der indigenen Bevölkerung eine vollkommen andere war als die europäische (vgl. Wendt 1998, S. 29). Die korrekte wissenschaftliche Darstellung der beiden Hauptsprachen Jabem und Kate dauerte 40 Jahre (vgl. Pilhofer 1963, S. 68). Dass daran die Verschriftung und Verschriftlichung dieser Sprachen (hier gibt es ausführlichere Hintergründe) wesentlichen Anteil hatte, zeigen die in Deutschland veröffentlichten linguistischen Arbeiten bspw. von Christian Keyßer zur Kate-Sprache, die von den Missionaren zur Kirchensprache etabliert wurde und auch heute noch in PNG gesprochen wird. Ins Deutsche übersetzte Märchen und Sagen, die als Rücktransfer nach Deutschland nachfolgenden Missionaren als Lehrwerk dienten oder Kinder und Erwachsenen Aspekte des neuguineischen Weltbilds vermitteln, halfen darüber hinaus den Sprachschatz zu bewahren.
Der Rücktransfer missionarischer Sprachforschung diente so also auch der Linguistik, die sich seit dem ausgehenden 19. Jh. an den Universitäten etabliert hatte. Am Hamburgischen Kolonialinstitut oder am Berliner Seminar für orientalische Sprachen wurde bspw. Kiswahili für den Sprachgebrauch in den Kolonien unterrichtet.

Dass sich die Menschen in der Heimat das „richtige“ Bild von den Menschen im Missionsgebiet in den Kolonien machen konnten (hier gibt es ausführlichere Hintergründe), dazu trugen ethnologische Arbeiten einiger Missionare maßgeblich bei.
Der Rücktransfer von Wissen aus und über das Missionsgebiet in die Heimat wurde im Rahmen von Forschungsreisen der Missionare und beteiligter Wissenschaftler befördert und mündete, neben eigenständigen Veröffentlichungen, in wissenschaftlicher Zusammenarbeit bspw. mit dem Anthropologen, Ethnologen und Fotografen Prof. Dr. Richard Neuhauss, der von 1908 bis 1910 zusammen mit seiner Frau Neuguinea bereiste. Während dieser Reise arbeitet er eng mit den Missionaren Christian Keyßer, Georg Bamler, Stephan Lehner, Heinrich Zahn und Michael Stolz zusammen. Für den 3. Band seiner dreibändigen Neuguinea Dokumentation lieferten ihm die genannten Missionare umfassende Beschreibungen zu verschiedenen Themen aus der indigenen Lebenswelt.
Von seiner Neuguinea Reise brachte Neuhauss neben den oben bereits erwähnten Gegenständen, anthropologisches Fotomaterial, das er im zweiten Band veröffentlichte, Filme und auch phonografisches Material mit. Auf Tonwalzen hielt er Gesänge der Bevölkerung fest. Von seinem Filmmaterial sind heute nur noch Fragmente erhalten (vgl. Schindelbeck in NDB 1998, S.19 128-129).

Hintergrund: Linguistik und Ethnologie

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