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Landabnehmen - Kein Spiel

Mein lieber Sohn Bo-Latu, ich will dir eine Geschichte erzählen, die geschah als du noch klein warst:

Duke, unser alter Gruppenvorstand stand eines Tages vor unserem Haus in Simbang und wollte dringend mit mir sprechen. Ich ahnte schon, worum es ging. Es gab Schwierigkeiten mit den zwei Weißhäuten, die tags zuvor von Madang aus, die Weißhäute nannten es Finschhafen, mit einem Boot angekommen waren. Einen der beiden hatte ich vorher schon mal hier gesehen. Er redete viel, aber keiner verstand ihn. Er faselte etwas von „Haus“. Wir konnten uns aber keinen Reim aus seinen Worten machen.
Nun kamen sie zu zweit und brachten mit dem Boot Baumaterial, das sie von den Schiffsleuten ausladen ließen. Ich ahnte, dass sie sich wohl bei uns breitmachen wollten. Wie die anderen Weißhäute, wollten sie sich bestimmt auch hier in Simbang auf unser Land setzen, ihre seltsamen Häuser darauf bauen und uns am Ende wieder vertreiben wie die andere Weißhäute, die uns schon von unseren Plätzen in Madang vertrieben hatten.
Eine Bucht entfernt hatten wir dann alles neu aufbauen müssen und hofften nun hier vor ihnen sicher zu sein. Nun hatten wir aber scheinbar auch hier keine Ruhe von den seltsamen Gestalten, die ihren ganzen Körper, manche auch ihren Kopf, mit Lappen und Tüchern bedecken. Was sie darunter verbargen wussten wir nicht.
Schon früher nahmen sich Weißhäute Land auf den umliegenden Inseln, nachdem sie die Bewohner mit ihren tödlichen Feuerwaffen vertrieben oder umgebracht hatten. Danach pflanzten sie dann viele Kokospalmen. Für die Arbeit brachten sie braune Menschen aus fernen Gegenden. Sie arbeiteten nie selbst, erzählte mir ein Freund. Als ich nun einen Tag vorher die zwei Weißhäute ankommen sah, wurde ich sehr wütend. Ich hatte Angst, dass wir wieder vertrieben werden. Ich ging hin und versuchte einem der beiden mit lautem Gebrüll eine Axt wegzunehmen, damit sie kein Haus bauen könnten. Ich hoffte, dass sie Angst bekommen und wieder verschwinden würden. Die Äxte der Weißhäute waren sehr scharf und waren bei allen begehrt. Oft gaben sie deshalb diese Äxte als Geschenk und glaubten, sie könnten sich dann unser Land nehmen.
Ich kämpfte also mit dem einen um die Axt, die er nicht kampflos abgeben wollte. Bei dem Gerangel verletzte ich ihn an der Hand. Am liebsten hätte ich ihn getötet, aber ich wusste, das würde Ärger geben. Also ließ ich von ihm ab und zog mich zurück. Die anderen, die um uns herumstanden, riefen zwar dauernd „Aum se gigia“ (du schlecht, gehe), hatten aber nicht den Mut mit mir zu kämpfen, obwohl auch sie die Weißhäute nicht auf unserem Platz haben wollten.
Alles half nichts – sie blieben und beschwerten sich bei Duke über mich, der tags darauf zu mir kam und mich überzeugen wollte, dass die beiden nichts Böses im Sinn hatten. Ich glaubte ihm kein Wort. Wo zwei sind kommen mehr, sagte ich ihm, aber er wollte nicht auf mich hören. Duke war schon alt und wollte keine Schwierigkeiten mit den Weißhäuten. Sie waren zwar nicht viele, aber vielleicht kämen mehr über das Meer, um uns alle zu töten, wenn wir sie nicht auf unseren Platz lassen würden. Die anderen und mein Bruder Agepo hatten sich schon beschwatzen lassen. Also gab ich erst mal klein bei und machte gute Miene zum bösen Spiel. Um Duke einen Gefallen zu tun, ging ich mit und überreichte den beiden ein paar Tabakblätter.
Heute, lange Zeit später, sind die beiden Weißhäute immer noch da. Sie haben sich bemüht, unsere Sprache zu lernen. Nun erzählen sie in ihrem Haus, das sie „Schule“ nennen, komische Geschichten von einem Anutu, der die Welt retten soll. Auch du, mein Sohn, hörst dir dieses Geschwätz an und lässt dich einlullen. Ich will dir aber sagen, dass es ihnen, genauso wie den anderen Weißhäuten, nur darum geht, Macht über unsere Seele zu bekommen. Zuerst nehmen sie uns das Land, dann unsere Seele. Welches Recht haben sie dazu? Eines Tages wirst du dich vielleicht an meine Worte und meinen Rat erinnern. Wenn es dann nicht zu spät sein wird. Hüte dich vor den Weißhäuten und halte dich fern von ihnen.
So spricht dein Vater Ngakui.
BoLatu starb bei einem Haiangriff im Fluss Buibui (vgl. ND-Kinderblatt April 1910; Fröhlich Bd. 2, S. 38)

Perspektivwechsel

Stell dir vor, Menschen, die anders aussehen als du, sich anders benehmen, deine Sprache nicht sprechen kommen zu dir, bringen schon Material mit, um sich in deinem Garten ein Haus zu bauen. Was würdest du tun? Diese kleine Geschichte soll zeigen, wie sich die Menschen gefühlt haben könnten, als plötzlich die weißen Händler, Plantagenarbeiter, Kolonialherren und Missionare kamen und sich ihr Land unter den Nagel rissen. Was sie tatsächlich dachten, wissen wir nicht, denn es gibt keine Schriftstücke darüber. Die Neuguineer haben keine Texte geschrieben. Und es gibt auch keine Zeitzeugenberichte, die vielleicht ein Europäer aufgeschrieben hat. Die Meinung und die Gefühle der Einheimischen waren nicht wichtig und waren es scheinbar auch nicht wert notiert zu werden. Wir kennen nur ihre Reaktion, die oft negativ und manchmal gewalttätig ausfiel, weil sie sich in die Enge getrieben fühlten und keinen anderen Ausweg sahen. Die europäische Sichtweise von damals beschreibt Johann Flierl in seinem Brief vom 22.10.1886 an das Missionshaus in Neuendettelsau. Umso wichtiger ist es heute bei aktuellen Debatten den eigenen Standpunkt zu verlassen und zu versuchen Verständnis für andere Lebensformen zu entwickeln, den Dogmatismus der eigenen Lebensform zu relativieren und das Gespräch zu suchen, um die eigene begrenzte Sichtweise zu erweitern.
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