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Mission im kolonialen Deutsch-Ostafrika

Kurz nach Beginn der deutschen Kolonialherrschaft in Ostafrika 1885 formierte sich im Gefolge der DOAG eine Missionsgesellschaft, die einen direkten Zusammenhang mit dem Kolonialismus im Programm hatte. Die Evangelische Missionsgesellschaft für Deutsch-Ostafrika (EMDOA) wurde 1886 von Mitgliedern der DOAG, darunter auch Frauen, gegründet. Carl Peters, der machtbesessene Drahtzieher der deutschen Herrschaft in Ostafrika, war auch Vorstandsmitglied der EMDOA, ebenso wie die beiden Frauen Martha von Pfeil und
Frieda von Büllow Frieda von Büllow
Frieda von Büllow

„Exkurs: Frieda von Bülow – Schriftstellerin und „Kolonialmissionarin“.

Andere Missionsgesellschaften wie die Leipziger Mission kritisierten diese enge Verquickung. Nach anfänglichem Zögern kam die Leipziger Mission dann aber doch 1893 nach Ostafrika. Nachdem die Church Missionary Society (CMS) von der Kolonialregierung verdächtigt wurde mit den Wachagga gegen sie zu agieren, mussten sie das Land verlassen und übergaben ihre Aktivitäten an die Leipziger Mission. (vgl. Artikel „Kolonialismus und Kirche“ in HABARI 4/2018, S. 31; Gründer in Bade 1984, S.74-75). Bereits vor der Kolonisierung durch Deutschland arbeiteten englische Missionare der London Missionary Society (LMS) und der Church Missionary Society (CMS) in Ostafrika. Die CMS versuchte bereits seit den 1840-er Jahren Fuß zu fassen (Krapf/Rebmann), während die LMS durch den Impuls ihres berühmten Missionars und Afrikaforscher David Livingston in den 1870-er Jahren eine erste Station in Ujiji am Ostufer des Tanganjikasees gründete (vgl. Hamilton 2009, S.64). Zeitgleich mit den Leipzigern 1892/93 kam die katholische Mission der Väter vom Hl. Geist ebenfalls in das von den Wachagga bewohnte Gebiet, wodurch sich ein Streit über die Gebietsabgrenzung zwischen katholischer und evangelischer Mission entspann, den groteskerweise das koloniale Bezirksamt schlichten musste. Während die katholischen Benediktiner von St. Ottilien in Bayern bereits 1887 nach Ostafrika kamen, ließ sich die Berliner Mission 1891 am Njassasee nieder. Im gleichen Jahr kam auch die Herrnhuter Brüdergemeinde nach Südtansania (vgl. Tetzlaff in Bade 1984, S.191-192).

Exkurs: Frieda von Bülow – Schriftstellerin und „Kolonialmissionarin“

Auch weibliche Akteurinnen waren in missionarischem Auftrag am deutschen Kolonialprojekt beteiligt. So war bspw. die Schriftstellerin Frieda von Bülow zusammen mit Carl Peters, zu dem sie eine Liebesbeziehung unterhielt, 1886 Mitbegründerin der besagten Evangelischen Missionsgesellschaft für Deutsch-Ostafrika (EMDOA). Mit Peters´ Unterstützung gründete sie den Deutschen Frauenverein für Krankenpflege in den Kolonien. Als weibliche Vorstandsmitglieder unter 18 Männern überzeugten Martha von Pfeil und Frieda von Bülow die Missionsgesellschaft davon, ihre kolonialen Bemühungen vorerst nicht auf Missionsarbeit, sondern auf Krankenpflege zu konzentrieren. Frieda von Bülow wurde zu diesem Zweck nach Ostafrika geschickt, um dort Krankenstationen aufzubauen. Krankenpflege verstand Frieda von Bülow als eine Möglichkeit der respektablen Arbeit für Frauen des Adels und Bürgertums. Sich selbst sah sie dabei in der Position der leitenden Organisatorin von Krankenstationen. Obwohl diese Krankenstationen natürlich für weiße Deutsche vorgesehen waren, wurden in dringenden Fällen auch Afrikaner*Innen versorgt. In Begleitung der Krankenschwester Bertha Wilke hielt sie sich von Mai 1887 bis April 1888 in Deutsch-Ostafrika im Auftrag der Missionsgesellschaft und des Deutsch-nationalen Frauenbundes nach Deutsch-Ostafrika auf und fand auf Sansibar in den dortigen kolonialen Kreisen die nötige Unterstützung ihres Projekts. Laut Bülows Buch Reiseskizzen und Tagebuchblätter aus Deutsch-Ostafrika (1889) wurde sie als standesgemäßes Mitglied in dieser Welt, in der es wenige weiße Frauen gab, willkommen geheißen und in ihr karitatives Vorhaben wohlwollend unterstützt, nicht zuletzt von ihrem Geliebten Carl Peters, von dem sie sich aber noch 1887 trennte. 1887 kam es zwischen von Bülow, der Missionsgesellschaft und dem Deutsch-nationalen Frauenbund zu Zerwürfnissen, da ihre selbständigen Entscheidungen, ihr öffentliches Auftreten, ihr geselliges Leben und gar die unverheiratete Beziehung zu Peters, gehörten nicht ins Bild einer züchtigen Krankenpflegerin – sei es in Deutschland oder Afrika. Bülow wurde ihres Amtes enthoben und kehrte im April 1888 zurück nach Freiburg. Eine zweite Reise nach Deutsch-Ostafrika vom Mai 1893 bis April 1894 mit dem Vorhaben die Leitung der von ihrem Bruder Albrecht ererbten Palmenplantage und seines Kalkbruchs in der Nähe des Küstenortes Tanga zu übernehmen, endete ebenso erfolglos. Nach der zweiten Rückkehr aus Afrika zog sich Bülow aus dem öffentlichen und aktivistischen Leben zurück und verlegte sich ganz auf das Schreiben. Sie veröffentlichte zahlreiche Skizzen, Essays, Erzählungen, Novellen und viele Romane zu Themen, die vom Leben in den Kolonien bis hin zu “Frauenthemen” wie freier Liebe, modernem Frauenleben und dem grundsätzlichen Verhältnis zwischen Frau und Mann reichen. Bekannt wurde Frieda von Bülow als Autorin von Kolonialromanen wie Reiseskizzen und Tagebuchblätter aus Deutsch-Ostafrika (1889), Am anderen Ende der Welt (1890), Deutsch-Ostafrikanische Novellen (1892), Tropenkoller. Episode aus dem deutschen Kolonialleben (1896) und einige mehr. Ihre literarischen und autobiographischen Schriften über Afrika ergänzten die deutsche Afrikaliteratur erstmalig um die Perspektive einer deutschen Frau. Durch ihre Texte wurde Bülow einerseits zu einer zu einer Kämpferin für ein selbstbestimmtes Frauenleben, andererseits zu einer einflussreichen Propagandistin des kolonialen Diskurses. Sie präsentierte ein friedliches Afrika, das die deutschen Kolonisator*innen willkommen heißt - in dem die Herren im Rauchzimmer Skat spielen und die Frauen den heimatlichem Weihnachtsstollen servieren, um im Gedenken an Vater Rhein ein Stück Deutschtum an den Äquator exportieren. Von den Einheimischen werden in stereotyper Weise drei ethnische Gruppen vorgestellt: Araber von edler Statur als Klasse der bisherigen lokalen Herrschenden, die sich aber mit den neuen deutschen Herrschern arrangieren, Schwarze als liebenswürdig-arbeitsscheue Diener und “Indier” als eine als materialistisch hingestellte Klasse der Kaufleute und Händler. Diese Stereotypisierungen suggerieren klare Unterscheidungen zwischen deutschen Werten und Fähigkeiten und der/dem arabischen/afrikanischen/indischen Anderen/Fremden und rechtfertigen durch die angebliche deutsche Überlegenheit die koloniale Beherrschung Ostafrikas. Die Kolonie Deutsch-Ostafrika und das Konzept des europäischen Kolonialismus, das weiße Europäer*innen – einschließlich der Deutschen – aufgrund ihrer Hautfarbe und angeblich höheren Zivilisationsstufe am oberen Ende der Stufenleiter menschlicher Entwicklung und menschlichen Wertes ansiedelte, eröffneten für Frieda von Bülow Möglichkeiten, in einer Weise selbständig zu leben und zu handeln, wie sie einer Frau im deutschen Reich gegen Ende des 19. Jahrhunderts verwehrt waren. Voraussetzung für diesen Freiraum weißer Frauen in Afrika waren jene rassistischen Vorstellungen von einem „natürlichen Gefälle“ zwischen den kulturell angeblich überlegenen, aber “guten” Kolonialherren und -damen und den kulturell vermeintlich unterlegenen, “primitiven”, aber friedlich-willigen Kolonisierten. Dies ist eine Erklärung für die um 1900 unter ehrgeizigen Frauen gar nicht so seltene Kombination aus Rassismus und Feminismus, wie sie auch in Frieda von Bülows Werken zu finden ist. Als Mitglied der als überlegen definierten „weißen Rasse“ konnten Frauen am Kolonialprojekt teilhaben oft im Rahmen von katholischen oder evangelischen Missionsgesellschaften (vgl. Bechhaus-Gerst in Zimmerer 2013, S.365-71; vgl. Katharina von Hammerstein in Fembio – Frauen Biographieforschung, https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/frieda-von-buelow https://decolonize-jena.de/was-wir-tun/koloniales-thuringen/frieda-von-buelow/ ).
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